
Ein Rückblick auf die Entwicklung von 2013 bis 2023
Inhalte
- Ein Rückblick auf die Entwicklung von 2013 bis 2023
- Die Zahlen im Überblick: 2013 vs. 2023
- Makrosicht: ECOLEF-Modell und BIP-Bezug
- Verdachtsmeldungen pro Jahr 2013 bis 2023
- Was hat sich verändert – und was nicht?
- Ein Jahrzehnt Fortschritt mit strukturellem Schatten
- Bussmann (2015): Dunkelfeldstudie über den Umfang der Geldwäsche in Deutschland und über die Geldwäscherisiken in einzelnen Wirtschaftssektoren
- 1. Ziel der Dunkelfeldschätzung
- 2. Methodischer Aufbau
- 3. Hochrechnung: Verdachtsfälle (quantitativ)
- Basis
- Rechenweg
- 4. Hochrechnung: Finanzvolumen (qualitativ + quantitativ)
- Basis
- Rechenweg
- 5. Gründe für systematische Unterschätzung
- Schneider (2016): Kritische Auseinandersetzung mit der Dunkelfeldstudie
- Vergleich der Schätzmethoden
Vor zehn Jahren veröffentlichte Prof. Kai-D. Bussmann eine wegweisende Dunkelfeldstudie zur Geldwäsche im Nicht-Finanzsektor (NFS). Sie kam zu einem alarmierenden Befund: Während im Jahr 2013 gerade einmal 250 Verdachtsmeldungen aus dem Nicht-Finanzsektor bei der FIU eingingen, wurde das tatsächliche jährliche Aufkommen auf 15.000 bis 28.000 Fälle geschätzt. Das damit verbundene Volumen an mutmaßlich gewaschenem Geld lag laut Hochrechnung bei 20 bis 30 Milliarden Euro jährlich – allein im Nicht-Finanzsektor. Heute, ziehen wir Bilanz.
Die Zahlen im Überblick: 2013 vs. 2023
Jahr | Verdachtsmeldungen gesamt | Davon NFS | Geschätztes Dunkelfeld (NFS) | NFS-Geldwäschevolumen (geschätzt) |
---|---|---|---|---|
2013 | 20.716 | ca. 250 | 15.000–28.000 | 20–30 Mrd. € |
2023 | 322.590 | 10.374 | 4.000–17.000 (geschätzt) | 3–23 Mrd. € |
Der Vergleich zeigt: Die Anzahl der Meldungen im NFS hat sich um den Faktor 40 gesteigert – ein Erfolg der Regulierung, Schulung und Digitalisierung. Doch auch heute wird das Dunkelfeld auf bis zu 17.000 nicht gemeldete Verdachtsfälle geschätzt. Die strukturellen Defizite in Sorgfaltspflichten, internen Sicherungssystemen und Compliance-Kultur bestehen weiterhin.
Makrosicht: ECOLEF-Modell und BIP-Bezug
Parallel zu Bussmanns Ansatz veröffentlichte die EU-geförderte ECOLEF-Studie (2013) ein makroökonomisches Modell auf Basis von Kapitalflüssen und BIP-Daten. Demnach lag das geschätzte Geldwäschevolumen in Deutschland bei 1,27 % des BIP – umgerechnet heute (2023) ca. 54,7 Milliarden Euro jährlich.
Davon entfallen nach Schätzungen 40–50 % auf den Nicht-Finanzsektor. Das bedeutet: Auch das ECOLEF-Modell stützt ein volumenbezogenes Dunkelfeld im NFS von über 20 Milliarden Euro jährlich.
Modell | Basisannahme | Ergebnis |
---|---|---|
Bussmann/Vockrodt (2015) | 4.000–17.000 nicht gemeldete NFS-Fälle | 3–23 Mrd. € mutmaßlich im NFS |
ECOLEF (angepasst für 2023) | 1,27 % vom BIP 2023 (4.305,3 Mrd. €) | ≈ 54,7 Mrd. € gesamt (inkl. FS+NFS) |
ECOLEF (davon 40–50 % NFS) | angenommener NFS-Anteil gemäß Bussmann | 22–27 Mrd. € im NFS |
Verdachtsmeldungen pro Jahr 2013 bis 2023
Danke. Die Zahlen aller Verdachtsmeldungen pro Jahr (inkl. 2023, jetzt verifiziert) lauten wie folgt:
Jahr | Anzahl Verdachtsmeldungen laut FIU |
---|---|
2013 | 20.716 |
2014 | 25.980 |
2015 | 32.008 |
2016 | 45.597 |
2017 | 59.845 |
2018 | 77.252 |
2019 | 114.914 |
2020 | 144.005 |
2021 | 298.507 |
2022 | 337.186 |
2023 | 322.590 |
Was hat sich verändert – und was nicht?
+ Positiv:
- Die Zahl der Verdachtsmeldungen ist massiv gestiegen.
- Die FIU hat systematisch in IT, Schulung und intersektorale Zusammenarbeit investiert.
- Der Fokus auf den Nicht-Finanzsektor nimmt zu.
– Kritisch:
- Die Meldequote bleibt im Verhältnis zur Kriminalitätsbelastung zu niedrig.
- Sensibilisierung bei Notaren, Rechtsanwälten, Steuerberatern, Güterhändlern ist lückenhaft.
- Noch immer sind laut FIU über 95 % aller Meldungen dem Finanzsektor zuzuordnen.
Ein Jahrzehnt Fortschritt mit strukturellem Schatten
Zehn Jahre nach der Dunkelfeldstudie von Bussmann/Vockrodt zeigt sich: Die Entwicklung ist positiv – aber noch lange nicht ausreichend. Während das Hellfeld gewachsen ist, bleibt das Dunkelfeld real. Die FIU, Aufsichtsbehörden und Verpflichteten müssen den nächsten Schritt gehen – von der Pflichterfüllung zur Risikosteuerung. Denn auch 2025 gilt: Das meiste bleibt unentdeckt.
Quellen:
https://www.zoll.de/DE/FIU/Fachliche-Informationen/Jahresberichte/jahresberichte_node.html
https://brigitteunger.nl/projects-working-papers/
https://bussmann.jura.uni-halle.de/forschung/abgeschlossene_projekte/geldwaeschestudie_i_
https://shop.freiheit.org/#!/Publikation/618
Bussmann (2015): Dunkelfeldstudie über den Umfang der Geldwäsche in Deutschland und über die Geldwäscherisiken in einzelnen Wirtschaftssektoren
1. Ziel der Dunkelfeldschätzung
Ziel war es, das nicht registrierte Volumen an Verdachtsfällen und an mutmaßlich gewaschenem Geld im Nicht-Finanzsektor (NFS) zu erfassen – also das Dunkelfeld, das nicht in den FIU-Meldestatistiken erscheint.
2. Methodischer Aufbau
Die Studie bestand aus zwei Teilen:
- 73 Experteninterviews (Qualitativ) mit BKA, LKA, BNotK, DIHK, IVD, BZSt, Guardia di Finanza etc.
- 1.002 standardisierte Telefoninterviews (Quantitativ), davon:
- 942 Verpflichtete i.S.d. GwG (aus vier Gruppen)
- 60 Nicht-Verpflichtete (v. a. Baugewerbe)
Die Verpflichteten wurden aus folgenden Gruppen gezogen:
- Rechtsberatende/vermögensverwaltende Berufe (n = 392)
- Versicherungsvermittler/-makler (n = 100)
- Immobilienmakler (n = 150)
- Güterhändler (n = 300; inkl. Auto, Kunst, Antiquitäten, Yachten, Schmuck)
Stichprobenziehung:
- Quota-basiert pro Branche, anschließend Zufallsauswahl innerhalb der Gruppe.
3. Hochrechnung: Verdachtsfälle (quantitativ)
Basis
- In der Realität: ~250 Verdachtsmeldungen jährlich aus dem Nicht-Finanzsektor (2012/13).
- In der Befragung: Die Verpflichteten berichteten selbst von nicht gemeldeten Verdachtsfällen.
- Berücksichtigt wurden:
- Eigene Einschätzung der Befragten
- Typologie-Kriterien (z. B. auffällige Barzahlung, Strohmänner, wirtschaftlich unplausible Transaktionen)
Rechenweg
- Erhebung der durchschnittlichen Anzahl an beobachteten Verdachtsfällen pro Jahr und Verpflichtetem.
- Hochrechnung auf die Grundgesamtheit der Verpflichteten in Deutschland pro Berufsgruppe (z. B. alle Immobilienmakler, alle Notare, etc.).
- Konservative Schätzung ergibt: 15.000–28.000 Verdachtsfälle pro Jahr im NFS, die nicht gemeldet werden.
4. Hochrechnung: Finanzvolumen (qualitativ + quantitativ)
Basis
- Die Befragten gaben an, mit welchen Beträgen mutmaßlich verdächtige Transaktionen verbunden waren.
- Berücksichtigt wurden:
- Eigenangaben zur Volumenhöhe verdächtiger Transaktionen
- Beobachtete Typologien (Barzahlung Immobilien, Kunsthandel, Strohleute etc.)
Rechenweg
- Ermittlung eines durchschnittlichen Transaktionsvolumens je gemeldetem Verdachtsfall (aus Selbstauskunft).
- Multiplikation mit der geschätzten Anzahl nicht gemeldeter Verdachtsfälle.
- Konservative Gesamtschätzung: 20–30 Mrd. € jährlich im NFS.
5. Gründe für systematische Unterschätzung
Die Autoren weisen explizit auf methodische Unterschätzungen hin:
- Geringe Awareness der Befragten → viele Verdachtsfälle werden nicht erkannt.
- Untersuchung nur ausgewählter Verpflichtetengruppen → viele Sektoren wie Gastronomie, Hotellerie, M&A, Dienstleistungssektor, Underground Banking nicht erfasst.
- Datenlücken bei Nicht-Verpflichteten (z. B. Architekten, Bauunternehmer).
- Kein Zugriff auf Steuerdaten, keine Überprüfung tatsächlicher Verdachtsmeldungen.
Daher sei das tatsächliche Dunkelfeld erheblich größer.
Schneider (2016): Kritische Auseinandersetzung mit der Dunkelfeldstudie
- Hochrechnung zu steil extrapoliert:
- Nur 68 Befragte mit Verdachtsfällen → keine belastbare statistische Basis.
- Multiplikation mit Mittelwert 2,5 Fälle pro Verpflichtetem erhöht die Schwankungsbreite stark.
- Verdachtsfall ≠ Strafbarkeit:
- Bussmann zählt jeden Verdacht, als sei er realisiert → tatsächliche Fälle vermutlich deutlich geringer.
- Doppelte Erhöhung des Volumens:
- Erst von 20 Mrd. € NFS auf > 50 Mrd. € Deutschland extrapoliert,
- Dann nochmals Bezug auf ECOLEF-Wert > 100 Mrd. €, ohne methodisch saubere Brücke.
- Unklare Trennung von „Wäsche“ vs. „Veranlagung“:
- Es bleibt unklar, ob kriminelles Geld tatsächlich in Deutschland gewaschen wurde, oder nur in Deutschland angelegt wurde.
- Beispiel: Geldwäsche findet im Ausland statt, Investition (z. B. Immobilien) in Deutschland.
- Politische Folgerungen nicht belegbar:
- Bargeldobergrenze < 2.000 €, Verbot von Bareinzahlungen auf Treuhandkonten – ohne empirische Belege für Effektivität.
Vergleich der Schätzmethoden
Aspekt | Bussmann (2015) | Schneider (2016) |
---|---|---|
Basis | Telefonbefragung von 1.002 Verpflichteten + 73 Experteninterviews (qualitativ & quantitativ) | Sekundärdaten + eigene volkswirtschaftliche Analysen |
Hochrechnung Verdachtsfälle | aus (1) Anzahl Befragter mit Verdachtsfällen, (2) Typologiemerkmalen, (3) Häufigkeit pro Verpflichtetem | nicht selbst durchgeführt; kritisiert Methodik als nicht repräsentativ |
Geldwäschevolumen NFS | 16–26 Mrd. € (2 Jahre), daraus: 20–30 Mrd. €/Jahr | realistisch: 10–20 Mrd. €/Jahr, 20–30 Mrd. € als Obergrenze |
Gesamtvolumen Deutschland | > 50–100 Mrd. €/Jahr (inkl. Finanzsektor) | eher bei 30 Mrd. €, Max. 40 Mrd. € plausibel |
Verwendung ECOLEF | nutzt Hochrechnung aus Gravity-Modell: 108,9 Mrd. € | warnt: Werte aus ECOLEF oft unrealistisch (z. B. 88,8 Mrd. € für Österreich) |